Die Praxilogie ?!

Von meinem langen Studium der Technik konnte ich in meinem Berufsleben nur wenig direkt einsetzen. Aber die abstrakten Erkenntnisse der Systemtheorie und anderer Theorien haben mir bei praktischen Problemen wirklich oft geholfen.

Ich versuche mit diesem Abschnitt eine Reihe von Einsichten so darzustellen, dass man sie anwenden kann, ohne ihren genauen Hintergrund zu kennen. Mit Beispielen und Plausibilität wird dabei vorgegangen.

Für Puristen und Wissenschaftler wird dieser Abschnitt ein Horror-Kapitel darstellen. Sind doch viele Analogien, ohne ihre strengen Vorbedingungen, schlichtweg ungültig. Das Interessante in der Praxis aber ist, dass, auch wenn die Analogie falsch ist, sie doch hilft kreative Lösungen und richtige Antworten für reale Probleme zu finden. So ist z.B. der Vergleich Wasserbehälter mit dem Kondensator als Strombehälter nicht korrekt. Trotzdem kann er gut als Denkhilfe herhalten.

Ich versuche in diesem Kapitel einige davon an meine LeserInnen weiterzugeben, obwohl ich weiß, dass viele damit Probleme haben werden. Wer sich überfordert sieht, überspringt diesen Abschnitt einfach.

Theorien sind um so kostbarer, je einfacher sie sind und je genereller sie anwendbar sind. So einfach nämlich die Erkenntnisse auch sind, so setzen sie doch ein extremes Abstraktionsvermögen voraus, etwas was zwar Mathematiker, Programmierer oder auch Logiker entwickeln, aber Normalsterblichen doch fremd ist.


Abstrahieren (Verallgemeinern) heisst durch Weglassen des Unwesentlichen das Wesentliche hervorheben (1). Nicht jede Abstraktion ist für jeden Zweck gleich nützlich. Ihre Mächtigkeit spielen Verallgemeinerungen erst dann aus, wenn sie sinnvoll mit Gesetzmäßigkeiten (2 und 3) kombiniert werden und auch wieder gelungen konkretisiert werden können (4).

Folgerungen auf hohem Niveau (Gesetzmäßigkeiten, Theorien)

(2)    >>>>>>>>>>>    (3)
A                                      V
A                                      V
(1) Abstrahieren                     Konkretisieren  (4)

Ein wichtiges Hilfsmittel ist die Visualisierung, die Sichtbarmachung. Wenn es gelingt, ein gute Visualisierung zu schaffen, werden die Gesetze viel leichter verständlich und auch leichter eingesetzt.


Anhand der folgenden zwei Beispiele will ich erklären, was die Schwierigkeit ist, aber auch, was man dabei profitieren kann.

1. Beispiel: Mehr Kaffee in der Milch oder umgekehrt?

Vor dir stehen zwei gleich große und gleich volle Tassen, eine gefüllt mit schwarzem Kaffee, die andere gefüllt mit Milch. Du nimmst einen Löffel Milch, gibst diesen in den Kaffee, rührst dort gut um, nimmst einen Löffel von dem Kaffee-Milchgemisch, gießt ihn in die Milch zurück und rührst dort auch gut um. Ist jetzt nun:

a. Mehr Milch im Kaffee?
b. Mehr Kaffee in der Milch?
c. Gleichviel Milch im Kaffee wie Kaffee in der Milch?

Intuitiv entscheiden sich viele für die Antwort a, obwohl die Antwort c richtig ist. Interessant ist nun die Reaktion, wenn man c systemtheoretisch begründet:

Da in beiden Tassen vorher und nachher immer gleichviel drinnen ist (der Löffel Flüssigkeit, der zuerst weggenommen wurde ist dann im zweiten Teil wieder dazu gefügt worden) muss der kleine Teil an Flüssigkeit (z.B. die Milch im Kaffee) in der einen Tasse in der  anderen Tasse umgekehrt (als Kaffee in der Milch) vorhanden sein.

I==========I         I==========I
I  MILCH   I         I  KAFFEE  I
I----------I         I----------I
I          I         I          I
I  KAFFEE  I         I  MILCH   I
I          I         I          I
I__________I         I__________I

Ich habe diese Frage x-mal gestellt und die Lösung dann erklärt. Bemerkenswert oft wurde mir die Antwort c trotzdem nicht abgenommen.

2. Beispiel: Glasröhrchen-Schleuder mit Platz für 12 Eprouvetten.

Hier handelt es sich um ein einfaches Laborgerät. In einem Zylinder befinden sich 12 Plätze, regelmäßig im 12-Eck angeordnet, so wie die Stundenpositionen einer Uhr, für 12 Glasbehälter (Eprouvetten). Da dieser Zylinder sich schnell dreht, muss die Anordnung der Glasröhrchen so sein, dass die Bestückung des Zylinders gleichmäßig ist, sonst eiert er und kann nicht hoch schleudern. Die Frage ist nun, mit wie vielen Röhrchen und in welcher Anordnung  kann man nun stabil schleudern.

Wenn der Zylinder leer oder ganz voll ist, ist er gleichmäßig belegt. Die Zahlen 0 und 12 sind also gestattet. Mit nur einem Röhrchen wird er unstabil sein, das heißt eiern, dasselbe gilt dann auch für 11, der Ergänzung auf 12. Also die Zahlen 1 und 11 sind unstabil und daher ungeeignet. Mit 2 , z. B. auf den Stundenpositionen 12 und 6 geht es, somit geht es auch für 10. Mit 3, auf den Positionen 12, 4 und 8 geht es, somit auch für die Ergänzung 9. Ebenso geht es mit 4, auf den Positionen 12,3,6,9, somit auch für 8. Insgesamt sind alle geraden Zahlen aus Symmetriegründen stabil, weil man immer einer Eprouvette eine andere gegenüber anordnen kann.

Da man ausgewogene Füllungen überlagern kann, geht es auch mit 3+4= 7 (genauer mit 3+2+2, weil man 3 und 4 aus Platzmangel nicht überlagern kann) und somit auch für 5. Also alle Füllungen, außer 1 und 11, können stabil sein.

Dieses Ergebnis überrascht doch und wurde allein aus den Systemeigenschaften Symmetrie, Überlagerung, und Ergänzung abgeleitet. Es ist ein gutes Beispiel, was abstrakte Überlegungen leisten können.


Wir können probehandeln, weil wir denken können.

Wir können denken, weil wir abstrahieren können.

Wir abstrahieren besser, wenn wir es immer wieder üben.

Das Erkennen von System-Eigenschaften, wie Symmetrie, Rotation etc. unterstützt das Abstrahieren!


Gestaltgesetze

In den folgenden einfachen, grafischen Beispiele werden vor allem zwei grundlegende Gestaltgesetze angewendet:

 1. Was gleich aussieht, gehört zusammen.
 2. Was nahe ist, gehört zusammen.

    o v o v o v o v o v o v
    o v o v o v o v o v o v
    o v o v o v o v o v o v
    o v o v o v o v o v o v
    o v o v o v o v o v o v
    o v o v o v o v o v o v
    o v o v o v o v o v o v

In vorhergehenden Feld ist nicht sofort klar, ob die zusammengehörigen Elemente die Zeilen sind, oder die Spalten mit den 'o' oder 'v'. Die Anordnung in den nächsten zwei Beispielen sorgt für bessere Klarheit.

    ovovovovovov

    ovovovovovov

    ovovovovovov

    ovovovovovov

    ovovovovovov

    ovovovovovov

    ovovovovovov
 

    o   v   o   v   o   v   o   v   o   v   o   v
    o   v   o   v   o   v   o   v   o   v   o   v
    o   v   o   v   o   v   o   v   o   v   o   v
    o   v   o   v   o   v   o   v   o   v   o   v
    o   v   o   v   o   v   o   v   o   v   o   v
    o   v   o   v   o   v   o   v   o   v   o   v
    o   v   o   v   o   v   o   v   o   v   o   v
 
Die klassischen Gestaltgesetze sind intuitiv leicht verständlich. Auch unabhängig von grafischen Anwendungen ist ihre Kenntnis und Anwendung nützlich. Vor allem aber auch ihr Verneinungen:

 3. Was nicht zusammengehört, soll ungleich aussehen.
 4. Was nicht zusammengehört, soll entfernt sein.
 
Am Abschnitt Teilen wurden wir angeleitet, das Zusammengehörende zusammenzulassen. Die Gestaltgesetze können nun Hinweise geben, was zusammengehört.

Eine der Wurzeln der Entdeckung der Gestaltgesetze war die Erklärung der Optischen Täuschungen. Im Zeitalter von Multimedia werden immer neue Gestaltgesetze entdeckt und angewendet. Sie erklären, wie sich Menschen in bisher nicht gekannten Dimensionen, wie Cyberspace und Virtueller Realität, zurechtfinden. Ihre Wahrnehmung in diesen Medien ist nicht immer mit den klassischen Aussagen voraussagbar. Vor allem der Faktor ZEIT wird in den bewegten Medien immer wieder für Überraschung sorgen. Es ist daher sicherlich für einige meiner LeserInnen lohnenswert, sich mit den neuen - gerade neu entstehenden - Gestaltgesetzen zu beschäftigen.

Input - Output - Speicher

Viele Systeme kann man als Black Box ansehen, mit Input und Output. Der Output wird eine andere Eigenschaft als der Input (Qualität) haben, oft eine andere Quantität haben, und normalerweise verzögert sein.

 input      !==========!
i i i i i i !  System  ! o o o o
            !==========!  output

Leistet das System nur einen Transport, das heißt der Input-Ort ist woanders als der Output-Ort, dann ist die Input-Menge gleich der Output-Menge, wenn im System kein Speicher oder eine Quelle ist und nichts verloren geht.

Bei mehr Input als Output wächst der interne Speicherplatzbedarf. Ist dieser Platz erschöpft, wird kein Input mehr verarbeitet. Bei mehr Output als Input schrumpft der interne Speicher, u.U. die Ressource selbst. Einfacher könnte man doch nicht Zunehmen und Abnehmen erklären.

Ein Fluss fließt von der Quelle zur Senke

Das Fließen hat für viele Menschen etwas Magisches, auch für mich. Es ist diese Gleichzeitigkeit von Statik und Dynamik, die so fasziniert und zum Beobachten einlädt.

Beim Beobachten von Flusstälern, z.B. dem jungen Donautal, kann einem klar werden, welche gestalterische Kraft Flüsse im Laufe der Zeit entwickeln.

Viele Prozesse, z.B. im Handel oder im Transport haben etwas Fließendes in sich und haben  mich dadurch zum Nachdenken angeregt. Einige Gedanken will ich unter dieser Überschrift weitergeben.

Wenn etwas fließt, geschieht dadurch ein Ausgleich zwischen einer Quelle (oben) und einer Senke (unten). Wenn etwas verschieden ist (z.B. oben und unten, Fülle und Leere, Überfluss und Mangel) kann etwas fließen. Diese Unterschiede können die Grundlage für einen ergiebigen Handel bieten.

Es ist auf die Dauer nicht möglich oder effektiv oder ökonomisch sich gegen die Flussrichtung zu bewegen. Aber sich mit der Flussrichtung, sich mit den molekularen Kräften zu bewegen, macht das Leben sehr viel einfacher. Darum ist es entscheidend für Erfolg oder Misserfolg, die 'Flüsse' zu beobachten und daraus auf die aktuellen Quellen und Senken zu schließen.

Versiegt die Quelle, wird bald auch der Fluss versiegen. Gibt es große Senken, können diese für ein niederes Niveau wieder eine Quelle werden. Soll es Bewegung geben, müssen Quellen und Senken geschaffen werden und eine (kleine) Möglichkeit des Ausgleichs zwischen beiden angeboten werden. Den Rest machen dann die molekularen Kräfte.

Energie verschwindet nicht, aber kann die Gestalt ändern

Wir alle kennen diesen Satz aus der Thermodynamik, aber ich habe ihn oft viel weiter interpretieren können.

Nehmen wir einmal Geld als Form von Energie, dann kann Geld sehr viel verschiedene Formen annehmen. Manche werden nützlicher für einen Zweck sein, als andere. Manche Formen werden leichter zu transportieren sein, manche werden sicherer sein, andere werden mehr Ertrag einbringen, und andere wieder mehr Freude machen.

Oder Motivation als Energie. Die eine Form kann zerstörend wirken, die andere sehr aufbauend. Manche Motivation ist sehr einfach zu bewerkstelligen, für eine andere fast unmöglich sie zu schaffen.

Es hat für mich etwas Tröstliches, dass solange Energie in irgend einer Form vorhanden ist, sie auch in eine Gestalt gebracht werden kann, die sich besser als eine andere eignet, umgesetzt und gebraucht zu werden.

Kehren wir nochmals zum Geld zurück. Es heißt doch, Geld verschwindet nicht, es wechselt nur den Besitzer. Für Bargeld stimmt dies auch. Anders jedoch für Buchgeld, das heißt, den Wert einer Sache, den man mit auch mit Geld ausdrücken kann. Dieser Wert kann sehr wohl verschwinden, wenn es dafür keine Nachfrage mehr gibt oder das Angebot zu groß ist!

Kettenreaktionen

Eine Kettenreaktion kann nur auftreten, wenn es sehr viele, aktive Elemente gibt, die sich beeinflussen können und deren Interaktionen nicht zu stark gedämpft werden. In rascher Folge löst eine Reaktion die nächste aus. Die kumulierte Reaktion ist meist überraschend groß, bei der Atombombe unvorstellbar zerstörerisch.

Nicht nur im Krieg kommt sie vor, auch für den Kommerz oder die Propaganda versucht man sie einzusetzen. Dabei wird aber oft unterschätzt, dass man wirklich viele Beiträge braucht, um einen großen Effekt zu erzielen und ebenso wird vergessen, dass die Einzelelemente aktivierbar sein müssen, d.h. Energie gespeichert haben müssen.

Ein weiteres Problem ist das Zünden der Kettenreaktion. Wie bei einem Pulverfass kann es gut vorkommen, dass man den Zeitpunkt dafür gar nicht bestimmen kann oder falsch wählt: entweder sie beginnt zu früh und verpufft ohne große Wirkung, weil nicht viele Elemente erreicht werden, oder sie kommt zu spät, wenn die Energie schon verbraucht ist. Oder sie beginnt für alle überraschend von alleine!

Auch die Stoßrichtung der Reaktion ist nicht immer vorhersagbar. Gegen wen richtet sich die freiwerdende Energie dann tatsächlich? Trotz aller dieser Probleme ist ein Konzept, das man in Betracht ziehen muss.

Blasen  (bubbles)

Spekulationsblasen kommen in der Wirtschaft immer wieder vor. Der Wert des Spekulationsgutes steigt durch positives Feedback stetig an, hat aber keinen Bezug zur Realität mehr. Er steigt durch steigende Nachfrage, die real nicht existiert. Es gibt also keinen Gegenwert mehr. Für kurze Zeit kann man mit dem Herdentrieb gut Geld verdienen, allerdings mit hohem Risiko, da beim Krach (crash, Zerplatzen der Blase) das Geld dann verloren ist.

Für fast alle Blasen gilt:

Parallelisierung - Serialisierung

Zu den grundlegenden Alternativen in Abläufen gehört die Frage wie viel und welche Abschnitte hintereinander (seriell, oder auch sequentiell) ablaufen müssen oder sollen und welche nebeneinander (parallel) oder fast nebeneinander ablaufen können.

Für diese Entscheidung ist neben der Zeitfrage und eventuellen Kosten für die Synchronisierung der Teilabschnitte auch die Vervielfältigung der für die Abschnitte notwendigen Ressourcen zu betrachten.

    1       2       3
========>>>>>>>>########
 

1 ========
  2 >>>>>>>>
    3 ########

In unserem Beispiel kann man die drei Abschnitte fast parallel durchführen und spart dadurch sehr viel Zeit.

Interessant ist das Synchronisierungsproblem. Es muss ja jemand bestimmen, wann die Teilabschnitte begonnen werden können und wie die Teilergebnisse wieder zusammengeführt werden können.

Die Kosten für die Synchronisierung können bei genügend großer Parallelisierung leicht alle anderen gewonnenen Vorteile auffressen. Wie wir schon beim Teilen gesehen haben, kann damit auch hier die Lösung zum Problem werden.

Für praktische Anwendungen ist es nützlich, die Anzahl der parallelen Wege auf 3 bis 4 zu beschränken. Damit kann ein Mensch noch relativ sicher umgehen.

Die wichtigste Parallelisierung ist die Duplizierung, die Verdoppelung, einer Ressource oder eines Abschnittes. Mit ihr kann sowohl der Durchsatz wie auch die Verfügbarkeit (siehe Abschnitt Warten) wirkungsvoll erhöht werden.

Ein Masseur hat sowohl am Kopfende wie am Fußende jeweils ein Flasche mit Massageöl. Mit diesem einfachen Trick hat erspart er sich täglich hunderte von unnötigen Schritten.

In einem Haushalt ist die Vorratshaltung so organisiert, dass für jedes Lebens- und Gebrauchsmittel eine Reserve vorhanden ist. Geht etwas zu Ende, dann wird die Reserve verwendet und beim nächsten Einkauf wieder Ersatz nachgekauft.

Filter

Ein Filter ist ein System, das einen Teil des angebotenen Inputs durchlässt, eine anderen aber abweist. Der Output eines Filters hat also bestimmte, voraussagbare Eigenschaften.

In einem Hochpassfilter der Nachrichtentechnik, werden z.B. nur hohe Frequenzen durchgelassen, die tiefen Frequenzen kommen bei diesem Hochpassfilter nicht durch.

Aber Filter sind auch die Passkontrollen an Grenzstationen, auch sie lassen nur bestimmte Menschen durch. Oder Filter sind auch Pfosten in der Straße, die zwar Radfahrer und Fußgänger durchlassen, aber Autos abhalten. Wer einmal in Filtern denkt, wird unzählige davon, auch in unserer - technischen und nichttechnischen - Umwelt entdecken.

Nachrichtentechnikfilter haben nun eine Eigenschaft, die fast für alle anderen Filter gilt. Je geringer ihre Bandbreite ist, umso mehr verzögern sie. Anders ausgedrückt, je genauer die Eigenschaften kontrolliert werden, ob jemand passieren kann oder nicht, umso länger dauert es.

Gerade beim Systementwürfen, bei denen Geschwindigkeit entscheidend ist, schafft diese Eigenschaft von Filtern unangenehme Probleme. Es ist nicht möglich gleichzeitig extrem schnelle und extrem enge, genaue Filter zu konstruieren. Lediglich im Computerbereich, wo fast mit Lichtgeschwindigkeit gearbeitet wird, fallen solche Betrachtungen heute nicht mehr ins Gewicht. In der Praxis wird man aber einen Kompromiss eingehen müssen.

Eine weitere Filtereigenschaft beschreibt das Abtasttheorem. Es besagt, dass - wenn man die Filtercharakteristiken kennt - man nicht alle Werte des Inputs kennen muss, es genügen einige Abtastwerte, um den Output vollständig zu beschreiben.

Speziell sagt es auch, je langsamer Systeme sich verändern,  um so weniger Zeitpunkte genügen, um es genau zu beschreiben.

Man denke dabei nur an die Mutter, die ihr langsam sich bewegendes Kleinstkind auch nicht ständig beobachten muss, und trotzdem immer weiß, wo das Kind sich befindet.

Nicht immer weiß man, welche Filtereigenschaften ein System hat. Aus der Eigenschaft des Outputs als Reaktion auf einen Input kann man nun ein Gefühl für Filter entwickeln und damit auch für Voraussagen für neue, noch nicht aufgetretene Situationen.

Dies ist das eigentlich Interessante an diesem Kapitel. Ohne genau das Innenleben des Systems zu kennen, kennt man doch bald seine Reaktionen. Natürlich kann es in der Praxis immer wieder zu Überraschungen kommen, aber im Allgemeinen wird man doch ganz gut liegen.

Stressinterviews sind ein Beispiel, wie die Eigenschaften eines Menschen, den man einstellen will, getestet werden. Dazu wird er mit Stress - z.B. unangenehmen Fragen - in eine Extremsituation gebracht und dann beobachtet, wie er reagiert.

Engstellen

In der Physik haben wir das Bernouillische Gesetz gelernt. Es besagt, dass bei gleichem Durchfluss z.B. in einem Rohr, die Geschwindigkeit des Flusses verkehrt proportional dem Durchschnitt ist. Das heißt, je enger das Rohr ist, umso schneller wird der Fluss sein. Oder wenn der Fluss nicht beliebig schnell werden kann, wird die Geschwindigkeit in der Engstelle den ganzen Durchfluss bestimmen.

*******                   ********
 ---->  *****************  ---->
            -------->
 ---->  *****************  ---->
*******                   ********

Dieses Gesetz gilt auch - mit Abwandlungen - nicht nur für Flüssigkeiten. Zum Beispiel im Autoverkehr, vor Engstellen, z.B. Baustellen. Soll es keinen Stau vor der Engstelle geben, müsste die Geschwindigkeit in der Baustelle eigentlich entsprechend höher sein. Aus Sicherheitsgründen wird aber immer eine langsamere Geschwindigkeit vorgeschrieben sein, Staus sind damit also bei einem gewissen Durchsatz unvermeidlich.

In der Praxis des Systementwurfs wird man Engstellen oder auch Engpässen besondere Aufmerksamkeit widmen müssen. Kann man sie schon nicht entfernen, müssen sie besonders sicher und schnell sein, soll nicht eine einzige Stelle die Eigenschaften des ganzen Systems dominieren.

Eine wesentliche Rolle wird dabei das Serialisieren vor der Engstelle spielen. Im Autoverkehr nennt man dies den Kolonnen - Reißverschluss. Je besser er funktioniert, um so geringer ist die Staugefahr und es kommt zu keinen Flaschenhalseffekten.

Umgekehrt wird man durch Parallelisierung die Geschwindigkeit in einem Teilabschnitt stark senken können und trotzdem den Durchsatz nicht störend beeinflussen.

Ich sehe dabei immer die Mautstationen an amerikanischen Highways vor mir, wo bis zu 20 Annahmestellen für das Mautgeld dafür sorgen, dass der Fluss des Autoverkehrs gut erhalten bleibt.

Flaschenhälse - Bottleneck

Flaschenhälse führen nicht nur zu Staus, sondern zu harten Stops. Ich kann nicht weiter, weil ich auf einen anderen warte. Diese Situation tritt auf, wenn 2 oder mehr Leute sich eine notwendige Ressource (den Eingang zur Flasche !!) streitig machen.

*******                   ********
 oooo>  *****************
       8 !!    oooooooooo
 oooo>  *****************
*******                   ********

In unserem Bild kann der Flaschenhals nicht gefüllt werden, weil sich die beiden Ströme den Platz vor der Öffnung streitig machen.

Folgende Abhilfen sind möglich: Ressource vorübergehend freigeben, Vortritt lassen, im Autoverkehr Einfädeln lassen, Absprechen nach dem Win-Win Prinzip.

Es ist also nicht nur höflich, sondern auch ökonomisch, Ressourcen gelegentlich freizugeben, weil man davon etwas später einen Vorteil haben kann.

Verklemmungen - Deadlock

Alles steht, man wartet auf sich selbst und weiß es vielleicht gar nicht, dass man selbst die Ursache ist!

Tritt auf, wenn 2 oder mehr Leute (mehrere) Ressourcen hintereinander und gleichzeitig brauchen.

        1!
VVVVVVVVVVVVVVVVVVVVV
        A            V
         A            V
          AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA
                       2!

In unserem Beispiel verklemmen sich 2 Verkehrsflüsse, eine Situation, die beim Abbiegen gelegentlich vorkommt. Die V-Schlange lässt keinen Platz für die A-Schlange und umgekehrt.

Aber auch in Programmsituationen in Rechnern kann es leicht zu Verklemmungen kommen. Auch hier ist die Abhilfe, die Ressourcen vorübergehend freigeben. Oder aber überhaupt nicht zu beginnen, solange man nicht alle Ressourcen zugesichert hat.

Vor allem, wenn Prozesse viele Zeitabschnitte beanspruchen oder man vielleicht gar nicht alle Auswirkungen seines eigenen Handeln abschätzen kann, ist es gar nicht leicht, Verklemmungen zu erkennen und zu vermeiden.

Catch 22

Sonderform der Verklemmung, es gibt keine Lösung, bei der man gewinnen könnte. Alles was man macht, führt in den Untergang.

Die wissenschaftliche Bezeichnung dafür ist "aporetischer Konflikt" (Aporie = Ausweglosigkeit), aber dieser Ausdruck ist nicht verbreitet.  Da bleibe ich beim gängigen Ausdruck nach dem Bestseller von Joseph Heller.

Mögliche Abhilfe: keine der angebotenen Lösungen wählen, kreativ ganz neue Situation schaffen.

Einfädeln, auf Speed kommen

Für kurze Zeit auf einer Hilfsspur (>) auf gleiche Geschwindigkeit mit dem Hauptfluss (=) kommen, Loch suchen, rüberwechseln und im Hauptfluss mitmachen.
 

====================  >  ================
                     >
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
 

Das Einfädeln ist oft die einzige Möglichkeit sich in einen Fluss einzugliedern. Es geschieht so mit wenig Aufwand und wenig Gefahr, allerdings muss irgendwo ein Loch vorhanden sein, sonst geht einem auf der Hilfsspur der Platz oder die Energie aus.

Ausbildungsvorgänge sind ein gutes abstraktes Beispiel für 'auf Geschwindigkeit kommen'. In einer sicheren Umgebung wird man auf die Wirklichkeit vorbereitet.

Übergänge ohne Brüche

Bruchlose Übergänge versprechen optimalen Durchsatz. Sie sind gewährleistet, wenn die Ausgangscharakteristiken eines Systems gleich den Eingangscharakteristiken des Folgesystems sind. Will man bruchlose Übergänge erzeugen, muss man also gut die Systemeigenschaften kennen. Ein wesentliches Element dabei sind z.B. bei Informationen die Eigenschaften des Trägers der Information. Wenn nun alle Informationen in digitaler und elektronischer Form vorliegen, sind wesentliche Vorbedingungen für Übergänge ohne Brüche gegeben.

Die Änderung der Charakteristiken im System selbst muss so langsam (quasistationär) erfolgen, dass keine unnötigen Turbulenzen, die alle Energie kosten, erzeugt werden.

Schleusen

Ist ein bruchloser Übergang nicht möglich, kann man vielleicht mit Schleusen die Situation lösen. Schleusen gestatten den gefahrlosen, aber u.U. aufwendigen Wechsel von einem System ins nächste. In einer Schleuse kann man beide u.U. widersprüchlichen Systemeigenschaften hintereinander erzeugen und so von einem System ins andere übertreten.

Schwingungen

Schwingungen haben wir schon in anderen Abschnitten, als Indiz von Kräften und Gegenkräften beschrieben. Sie kommen nahezu überall vor, auch dort, wo man nichtschwingendende und konstante Vorgänge erwarten würde. Gerade die neueren Forschungen der Biologie beschreiben immer neue schwingende Vorgänge.

Abstrakt gesehen sind als Vorbedingungen für Schwingungen 2 Ordnungsprinzipien im System notwendig. Das System schwingt dann zwischen diesen 2 Zuständen. Dauerschwingungen sind nur in offenen Systemen möglich, weil ständig Energie für die internen Verluste, z.B. durch Reibung, nachgeführt werden muss.

Sind mehr als 2 Ordnungsprinzipien im System vorhanden, kommt es zu chaotischen Schwingungen. Im Chaos sind dann keine Voraussagen mehr möglich, obwohl die Vorgänge nach wie vor gesetzmäßig ablaufen können.

Pakete, longitudinale Wellen

Wer einmal aus der Ferne nicht allzu dichten Autoverkehr beobachtet hat, wird feststellen, dass Autos meist in Gruppen auftreten. Lange kommt kein Fahrzeug, dann aber mehrere Fahrzeuge hintereinander. Man spricht dabei von Verdichtungspaketen oder auch longitudinalen Wellen.

Sie sind fast immer ein Beispiel für verschiedene Geschwindigkeitspotentiale der einzelnen Fahrzeuge. Das dahinter liegende Fahrzeug kann nicht überholen, je länger die Kolonne ist, umso schwieriger wird es dann auch für ganz schnelle Fahrzeuge, das durch einen relativ langsamen Kolonnenkopf erzeugte Paket zu überholen.

So kann ein Teilnehmer - in eingeengten Situationen, wo man nicht ausweichen kann - viele andere beeinflussen. Ist der Kolonnenkopf nicht einsichtig genug, die hinter ihm fahrenden vorbeizulassen, muss er - zumindest vorübergehend - entfernt werden.

Diese Pakete kann man auch erzwingen und dadurch sicher machen, indem man alle Fahrzeuge fest miteinander verbindet und sie wie beim Zug durch eine starke Lokomotive ziehen lässt.

Optimum und Maximum

Optimum: Bester Wirkungsgrad, geringste Verluste.
Maximum: Größtes (temporäres) Ergebnis, ohne Rücksicht auf Verluste.

Dauerleistungen sind nur im Bereich des Optimums erreichbar. Das Optimum ist meist nur 30 -70%, selten mehr als 80% des Maximums. Anfänger verlassen sich meist zu oft auf Maximalleistungen. Kluge Planer aber basieren ihre Voraussagen besser auf Optimalleistungen.

Optimale Geschwindigkeiten sind meist Systemeigenschaften. Wenn man sie kennt, kann man den Aufwand für den Transport minimieren.

Linearität

Die einfachste der Funktionen y=f(x) ist die lineare Funtion y = a*x, wobei a eine Konstante ist.

Eine wichtige Eigenschaft der Linearität ist, dass - unabhängig vom Wert x - immer gilt, dy= a dx, dass heißt der Zuwachs immer konstant a ist.

Trotz aller Einfachheit der Linearität ist diese Eigenschaft intuitiv schwer verständlich, wie folgendes Beispiel zeigt.

Aus einem Streifen von 1m Länge kann man einen kreisförmigen Reifen mit dem Radius von etwa 16 cm herstellen. (Gemäß des linearen Zusammenhangs Umfang = 2*pi*Radius, oder U=6.28*r).

Wenn man sich nun einen Reifen um den Äquator der Erde denkt und diesen auch nur um einen Meter verlängert, dann wird der neue Radius auch um etwa 16cm größer werden.

Dieses Ergebnis wird auch von Menschen, die es eigentlich wissen sollten, wie ausgebildeten Ingenieuren, immer wieder angezweifelt. Fragt zum Beweis einige eurer Freunde, wie viel größer der Durchmesser des Äquators wird, wenn man die 40.000 km nur um einen Meter verlängert!  

Eine andere lineare Abhängigkeit ist das Prozentenehmen. Ein häufiger Fehler dabei ist, dass die Annahme eines kleinen Prozentsatzes, z.B. 1 %, impliziert, dass die dadurch sich ergebende absolute Zahl auch klein, oder zumindest leicht erreichbar ist  Aber 1% von einer Million sind immerhin 10.000.

Bei Verkaufsprognosen wird häufig ein kleiner Prozentsatz einer großen Zahl angenommen, der vorgaukelt, dass man die erstrebten Verkaufszahlen auch leicht erreichen kann. Solche Annahmen sind fast immer falsch, weil sie nicht auf konkreten Abhängigkeiten aufbauen.

Die Linkspopulisten nützen die Schwäche ihrer Wähler beim Prozentnehmen dazu aus, Stimmung zu machen. Für Unwissende sind 20 Prozent Steuern immer gleich viel. Aber in absoluten Werten sind die Unterschiede natürlich beträchtlich. Die immer wieder gepriesene Steuerprogression erreicht gerade das Gegenteil, nämlich dass viele Reiche überhaupt keine Steuern mehr in Deutschland bezahlen.

Im Abschnitt S-Kurven sehen wir, dass viele lineare Zusammenhänge in der Praxis immer nur in einem kleinen Bereich gelten. Unsere Vorstellungskraft bezüglich Linearität ist also deshalb vielleicht zurecht unzureichend. Wer mit großen Zahlen umgehen muss, etwa im Finanzbereich, sollte sich daher besser auf den Computer, als auf sein Gefühl verlassen.

Symmetrie

Über das "Ebenmass", wie Symmetrie wörtlich übersetzt heißt, ist unendlich viel geschrieben und philosophiert worden und ich will dies nicht alles hier wiederholen. Es gibt aber drei Aspekte, die ich nicht so häufig finde, die mir aber wichtig sind.

1. Symmetrie ist eine ökonomie Vorgehensweise. Es erspart viel Mehraufwand, wenn man einmal Bewährtes fast mechanisch transformieren kann.

2. Symmetrie macht nur Sinn, wenn es eine dritte Dimension und Schwerkraft gibt. Dann bringt sie eine automatische Balance und ist erneut eine wunderbare Ersparnis bei der Konstruktion. Ich vermute, dass die Ästethik, die wir bei Symmetrie empfinden, genau hier ihre Wurzel hat!

3. Leichte Asymmetrie scheint mir genau so bedeutungsvoll wie Symmetrie zu sein. Während Symmetrie das ideale statische Maß ist, ist Asymmetrie das Ideal der Spannung und damit Bewegung!

Hierarchie

In diesem Abschnitt folgen noch einige praktische Ergänzungen zur Hierarchie, die vor allem mit Problemsituationen zu tun haben.

In der Praxis wird es oft vorkommen, dass ein Element, d.h. eine Ebene in der Hierarchie vorübergehend nicht funktioniert. Dann wird entweder die Ebene höher oder tiefer diese Funktionen wahrzunehmen haben.

Erleichtert wird dieser Zustand, wenn nicht immer nur eine Ebene informiert wurde, sondern wenn Informationen immer an 2 Ebenen darunter oder 2 Ebenen darunter gleichzeitig abgegeben werden (sozusagen ein vertikales Tandem-Prinzip).

Damit wird zwar Macht durch Information aus der Hand gegeben, aber das hierarchische System wird wesentlich robuster.

Will man unfähige Teile im System austauschen oder kompensieren empfiehlt sich eine Parallelisierung (in der Medizin Bypass genannt). Auf diese Weise kann man entweder vorübergehend oder auch dauerhaft mit unfähigen Komponenten im System leben.

Gerade in Machtkämpfen in Firmen wird man alle Register im Umgang mit der Hierarchie ziehen sehen. Es hat mich immer wieder fasziniert, wie wirkungsvoll ganz simple Methoden sind, um unliebsame Widersacher auszuschalten. Und besonders beliebt sind die hier beschriebenen Methoden der Parallelisierung, zusammen mit dem Abschneiden von Informationskanälen.


 

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