Zu den häufigsten Zeitgestalten gehört die Exponentialfunktion (y = exp x). Sie gilt überall, wo das Wachstum abhängig von der vorhandenen Menge ist. Zum Beispiel Zinseszinsen: Jeder kennt die Story von dem 1 Cent, den wir bei Christi Geburt auf die Bank eingelegt haben und dem Vermögen, das daraus - theoretisch - bis heute entstanden ist.
Deshalb ist es besonders interessant und wichtig, dass unsere Intuition sehr schlecht mit Exponentialfunktionen umzugehen weiß. Selbst wenn wir wissen, dass eine Exponentialfunktion vorliegt und wir die Ergebnisse schätzen müssen, haben wir Probleme - ohne Rechnung oder Graphik - die richtigen Ergebnisse zu finden.
Verwandt mit der Exponentialfunktion ist die Sättigung. Sie tritt auf, wenn es um den Kampf und das Aufbrauchen endlicher Ressourcen geht. Auch bei ihr versagt unsere Intuition gerne.
Eine Überlagerung von Wachstum und Sättigungskurve nennt man nach ihrer Form S-Kurve. Sie ist eine der häufigsten Kurven überhaupt, wenn es um die Darstellung von Ergebnis als Funktion des Aufwandes (oder der Zeit) geht. Sie besteht aus drei sehr verschiedenen Bereichen, die ohne etwas theoretische Kenntnisse nicht als zusammengehörig betrachtet werden.
In der Phase 1, dem mühsamen Beginn, wird permanent großer Aufwand getrieben, aber es zeigt sich kein Ergebnis oder nur ein sehr unbefriedigendes Ergebnis. Im Extremfall kann sich sogar ein negatives Ergebnis einstellen.
Anfänger verzweifeln gerne in dieser Phase und geben zu früh auf. Sie wissen noch nicht, dass sie die Ernte erst später einfahren können oder sie können nicht bis zum 'Herbst' abwarten. Hier lohnt es sich, für einige Zeit trotzdem Durchhaltevermögen zu zeigen. (Aber man sagt, wenn etwas nach 1000 Tagen immer noch nichts bringt, dann wird es nie erfolgreich sein. Also zulange darf man auch nicht ausharren). Aber dann startet der exponentielle Bereich und 'endlich läuft es'.
In der Phase 2 scheint der Zusammenhang linear zu sein. Die Illusion hier ist zu glauben, dass die Linearität unendlich weitergeht und jeder Aufwand ein entsprechendes Ergebnis erbringen wird. Tatsächlich aber entsteht die Linearität oft aus der Überlagerung von Wachstum und Sättigung, also schon im linearen Bereich ist die Sättigung mit eingebaut.
In der Phase 3 überwiegt dann die Sättigung und das Wachstum ist gering, die Kurve verflacht zusehends. Aufwand wird dann nur noch getrieben, um das Ergebnis zu halten. Selbst mit sehr großem Aufwand ist dann kein Zuwachs mehr zu erwarten. Wird kein zusätzlicher Aufwand mehr getrieben, wird im Normalfall ein Abstieg oder Verfall eintreten.
Viele Verläufe in der Wirtschaft verlaufen nach S-Kurven, allerdings manchmal mit Sprüngen, die durch Überlagerung von S-Kurven zustande kommen, z.B. durch plötzliche 'Geburten' oder 'Todesfälle' von Teilkurven.
Das Denken in S-Kurven gehört daher zum grundsätzlichen Repertoire erfolgreicher Problemlöser. Es bewahrt vor den Fehlern der Ungeduld am Anfang, sowie vor falschen Einschätzung 'es würde alles immer gleich weiterlaufen' und vor der Meinung, dass in der Sättigung weiterer Aufwand noch mehr bringen würde.
Für Betroffene ist es wichtig zu wissen, in welcher Phase der S-Kurve sie sich befinden und entsprechende Planungen für das weitere Vorgehen ins Auge zu fassen.
Hat man ein zuverlässiges Modell für den Prozeß, den die S-Kurve beschreibt, dann genügen schon wenige Meßwerte am Anfang, um ihren ganzen Verlauf vorauszusagen!
Im nächsten Kapitel lernen wir etwas mehr über Kreisläufe oder Zyklen. Diese scheinen einfacher als S-Kurven zu sein, aber in ihrer Vielfalt sind sie oft gar nicht zu erkennen.
2013
Dr. Otto Buchegger Tübingen
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