Die Praxilogie ?!

Wenn es einen Bereich gibt, wo die Natur unsere überlegene Lehrmeisterin ist, dann ist es sicherlich die Evolution. Ihre Erkenntnisse gehören zu den wichtigsten Einsichten über die Gesetze der Praxis.

Es ist für mich immer noch unglaublich, dass Menschen sie entdeckt haben, denn es erfordert sehr abstraktes, konsequentes und auch langfristiges Denken, sie zu durchschauen. Kein Wunder, dass es viele Menschen gibt, die sie deshalb auch ablehnen.

Wie wir wissen, ist die simple Übertragung der Evolution auf menschliche Systeme (Sozialdarwinismus) nicht sinnvoll. Aber ihre Grundprinzipien - vor allem auch im Bereich der Coevolution (wenn sich zwei Entwicklungen wechselseitig beeinflussen) - sind eine gute Quelle für Ideen zum Handeln.

Alles hängt mit allem zusammen.

Zu den Leistungen der Evolution gehören die permanente, aber langsame Anpassung und damit das Überleben in einer ständig sich ändernden, feindlichen Umwelt. Denn nur was sich verändert, kann erhalten bleiben. Erfolgreich im Sinne der Evolution ist, was sich in Raum und/oder Zeit ausdehnt. Die Ausdehnung im Raum kann auch kurzfristig sein.

Beim Anblick der Spatzen muß ich immer an die Leistungen der Evolution denken. Sie sollen doch die Flugsaurier in ihrer Entwicklungskette haben. Da wird mir klar, dass wir kaum die Fantasie haben, uns vorzustellen, welche Veränderungen tausende von Generationen bewirken können.

Die Evolution versagt bei schnellen und radikalen Veränderungen. Hier liegt nicht ihre Stärke. Da unsere Zeit vielfach sehr schnelle Veränderungen hat, sind also die Evolutionsgesetze nur begrenzt einsetzbar. Aber auch Evolution findet in Schüben statt. So hat Evolution auch immer einen geringen Anteil an Revolution in sich.

Drei Komponenten sind für die Evolution hauptverantwortlich:

Besser überlebensfähig oder 'fit' - im Vergleich zu den Konkurrenten - ist, wer die größte Anzahl an lebensfähigen Nachkommen hat. Zwei Hauptfaktoren, die voneinander abhängig sind, bestimmen die überlebensfähigkeit: Vielfalt (Genetische Variabilität) und schnelle Reproduktionszyklen.

In der Biologie hängen die beiden über die Sexualität zusammen. Ohne Sexualität geht die Reproduktion am schnellsten, aber durch die genetische Homogenität, die dabei entsteht, passieren nur geringe Veränderungen. Das heißt, Überleben ist nur bei konstanter Umwelt sichergestellt. Oder anders ausgedrückt, der Aufwand der Natur für die Sexualität ist der Preis für die genetische Vielfalt.

Ich denke daran, wie das Verständnis über Evolution hilft, die Bedeutung der Sexualität einzuschätzen. Wie kann etwas weiterleben, wenn die Sexualität nicht einen großen Stellenwert hat? Aber auch die Existenz von Krankheiten wird unter dem Aspekt der Evolution besser verstehbar. Wie die Sexualität sind auch sie ein Preis für die genetische Vielfalt und die permanente Anpassung an ein sich ständig änderndes Umfeld.

Unter Selektion ist nicht nur zu verstehen, dass Mutationen, die in einem gewissen Umfeld nicht lebensfähig sind, sterben oder sich nicht fortpflanzen, sondern auch dass Präferenzen der Paare und andere äußere Einflüsse, wie glückliche Zufälle, entscheidend sein können.

Kommunikation kommt nicht nur durch Vererbung zustande, sondern vor allem auch durch die Teilung gemeinsamer Ressourcen. Interaktion zwischen den Arten betrifft Konkurrenz und Kooperation. Konkurrenz verändert, Kooperation bewahrt. Kurzfristig ist Bewahren die wichtigere Strategie, aber langfristig muß immer eine Veränderung stattfinden. Beides muß also passieren.

Anpassung kann durch Suche nach einem neuen Gleichgewicht (Homöostase) passieren. Diese Art der - kurzfristigen - Anpassung hat keinen Einfluß auf die Populationen. Oder durch Plastizität. Hier verändert die Umwelt die Individuen.

In ökologischen Systemen sind Kräfte und Gegenkräfte nicht immer zu verstehen und daher auch nicht vorhersagbar. Im Gegensatz zur Wirtschaft kann man die Natur auch nicht so leicht reparieren, die Natur ist viel nachhaltiger.

Anstelle künstlich herbeigeführter Veränderungen, deren Ergebnisse man gar nicht abschätzen kann, ist oft 'leben und leben lassen' die einfachere, dauerhaftere und damit auch effektivere Strategie. Und es oft sinnvoll mehrere Strategien zu haben und diese auch parallel zu verfolgen, weil man ja auch nicht wissen kann, welche die Richtige ist.

Zusammenfassend ziehe ich folgende Lehren:


Ganz zum Schluss hebe ich noch einen Aspekte hervor, der mir persönlich oft wichtig war. Es geht dabei um die Ergebnisse, die durch Evolution verloren gehen, z.B. die Lösungen, die sich nicht als optimal bewährt haben. Sie verschwinden nicht plötzlich, sondern überleben oft in Nischen lange weiter. In ihnen ist oft so viel Wissen versteckt, das es lohnt, entdeckt und weitergetragen zu werden. Warum hat es nicht funktioniert, ist dabei die Kernfrage und was können wir daraus lernen?

Evolutionäre Prozesse kann man bewusst erzwingen, in dem man in steter Auswahl sich von dem trennt, was man nicht mehr will. In der Natur ist es der natürliche Tod, der für Veränderungen sorgt.

In meinem Leben habe ich viele Veränderungen selbst herbeigeführt, in dem ich Bestehendes in Frage gestellt habe und dann auch wieder aufgegeben habe. Es ist oft einfach kein Platz für beides, das Bewährte und das Erfolglose, das zum Ballast wird. Aber es ist dann für mich tröstlich, dass wenigstens auch das Erfolglose im Wissen darüber weiterlebt.


 

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