Jede Firma hat neben dem offiziellen Beurteilungssystem auch viele inoffizielle Systeme, die abhängig sind von den vielen Individuen, die Beurteilungen aussprechen. Ich habe einige Kriterien zusammengestellt, die ich bei vielen Führungskräften vorgefunden habe, die aber in dieser Form nicht in offiziellen Richtlinien stehen.
Manager beurteilen meist so, dass sie selbst den größten Nutzen dabei haben. Offiziell werden zwar faire und objektive Kriterien angelegt, aber jeder, der weiß, wie diese Rituale ablaufen, weiß auch, dass fast alles manipulierbar ist. Also wird der am besten beurteilt, der am besten hilft, die eigenen Ziele zu erreichen und mit dem man am längsten zusammen arbeiten will.
Gelegentlich wird auch so beurteilt, dass man danach die wenigsten Probleme hat. Wer sich also nichts gefallen läßt, wird immer besser abschneiden, als jemand, dem die Beurteilung egal ist.
Viele ehrliche Beurteilungen werden aus dem Bauch heraus gefällt und dann so aufbereitet, dass sie in das offizielle Schema passen. Ich habe die wichtigsten Fragen zu den ehrlichen Beurteilungen zusammengestellt, unter anderem mit der Absicht, dass ein Mitarbeiter sich selbst aus der Sicht der Führungskraft einzuschätzen lernt.
Hier spielen natürlich nicht nur die Sympathie eine Rolle, sondern vor allem die Leistungsfähigkeit und auch die Zukunftsperspektiven. Gerade die Frage nach der Selbständigkeit ist ein extrem guter Test. Denn es ist ein großer Unterschied, ob ich für jemanden persönlich das Gehalt aufzubringen habe oder aber eine - doch mehr oder weniger anonyme - Firmenkasse das Gehalt bezahlt.
Hat der Mitarbeiter gehalten, was er versprochen hat, auch in einem sich verändernden Umfeld. Wer wird abgeworben? Gelegentlich werden meine Mitarbeiter von außen - z.B. den Kunden - wesentlich anders eingeschätzt, als von der Führungskraft. Und das Abwerben bringt das dann an den Tag. Natürlich kann man als Mitarbeiter dieser Frage auch etwas nachhelfen, indem man seine Bereitschaft zum Wechsel auch signalisiert. Allerdings darf man sich nicht zwischen alle Stühle setzen, wie wir früher schon beim Berufswechsel diskutiert haben.
Nur gute Leute werden um ihre Meinung gefragt, wer nichts weiß oder nichts kann, den fragt man nicht, den vermißt man auch nicht groß, wenn er weg, zum Beispiel im Urlaub, ist. Die eigenen Kollegen wissen am besten wer die Spitzenleistungen erbringt und wenden sich dann gerne an die Top-Cracks, außer diese sind ihnen menschlich zu unangenehm, was leider auch oft vorkommt. Wer gefragt wird, ist also nicht nicht nur kompetent, sondern auch menschlich angenehm, eine wichtige Eigenschaft für jedes Team!
Es gibt Mitarbeiter, die arbeiten so zuverlässig, dass sich jede Kontrolle erübrigt. Und es gibt andere, bei denen ich mich auf nichts verlassen kann. Zuverlässigkeit kann wichtiger als Geschwindigkeit werden, wer auf Kosten der Gründlichkeit schnell arbeitet, dessen Arbeit kann schnell teuer werden.
Gerade die Wahl eines Vertreters sagt viel über mein Vertrauen zu einem bestimmten Menschen aus. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass es klug ist, möglichst vielen Menschen meiner Abteilung die Chance zu geben, die Vertretung zu machen, um sich in dieser Funktion bewähren zu können.
Wer schwierig zu ersetzen ist, den sollte ich auch gut behandeln, denn sein Weggang kann mir große Probleme schaffen. Allerdings darf ich nie alle Arbeit so gestalten, dass ich von einer Einzelperson total abhängig werde. Denn so kann man schnell erpressbar werden, etwas was man immer vermeiden will.
Wie bei allen Beurteilungen, die emotional gefärbt sind, gibt es auch viele Vorurteile. Diese gelten nicht gleichermaßen in allen Firmen, so wird das Rauchen nur in jenen Firmen zum Manko, in denen auch der Chef nicht raucht. Aber der Trend in unseren westlichen Firmen geht eindeutig zum Nichtrauchen. Und Raucher werden für alle Unannehmlichkeiten bestraft, die sie - ob jetzt gerechtfertigt oder auch nicht - ihren Firmen verursachen.
In anderen Firmen werden dicke Menschen von vornherein schlechter beurteilt oder bei Karrierechancen leichter übersehen. Die Annahme dabei ist, dass Dicke weniger leistungsfähig sind, öfter krank werden oder auch früher sterben. Inzwischen sind aber auch auffallend dünne Menschen von Vorurteilen gefährdet, weil unwissende Chefs sie oft für krank halten.
Extrem große oder extrem kleine Menschen werden als tüchtiger gehalten als Durchschnittsbürger. Man muß sich nur Fotos von Politikergruppen ansehen, um dieses Vorurteil bestätigt zu finden. Nette Menschen sind immer tüchtiger als muffelige, ganz egal wie die Leistungen wirklich sind.
Wer sich extrem auffallend kleidet bekommt Minuspunkte. Auch wer sich extrem schminkt. Die Begründung dafür ist, dass diese Menschen von der Arbeit ablenken und so stören.
Alle Menschen mit großen Privatproblemen oder ausgiebigen Privataktivitäten werden schlechter beurteilt. Wer soviel Zeit, Kraft und Gedanken in seine Privatleben steckt, der kann doch in der Firma nicht die volle Leistung erbringen, ist hier die Begründung.
Sehr Geizige oder sehr Freigiebige haben auch schlechte Karten. Man verdächtigt sie, dass sie die Firma um Geld oder Werte betrügen könnten.
Ungepflegte tragen zum schlechten Betriebsklima bei, weil niemand gerne mit ihnen zusammenarbeiten will und weil ihr Aussehen den Wert oder das Ansehen der Firma reduziert.
Die Liste der Vorurteile ist damit sicherlich nicht erschöpft. Besonders wenn objektive Meßkriterien fehlen, wie etwa eindeutige Verkaufsergebnisse, kann jede Abweichung von der Norm zu Fehleinschätzungen führen.
Für Berufsanfänger sind diese Hinweise sicherlich nützlich. Sie sollten gelegentlich testen, wie sie auf ihr Umfeld wirken und wie man sie ehrlich einschätzt.
Selbsteinschätzungen liegen oft falsch. So mußte ich feststellen, dass sich gute Leute meist schlechter einschätzen, als andere dies tun würden. Und schlechte Leute überschätzen sich maßlos und fallen dann aus allen Wolken, wenn die Beurteilung anders als erwartet ist.
Mit fortschreitender Berufserfahrung wird man etwas immuner gegen Details in der Beurteilung. Da diese im Normalfall nur dazu dient, das Geld für Gehaltserhöhungen gerecht zu verteilen, werden jene, die sowieso schon ihr Gehaltsplateau erreicht haben, dann auch eher zugunsten der Jungen einer schlechteren Beurteilung zustimmen, wenn sie dafür im Gegenzug Zusagen zu Dingen oder Vergünstigungen erhalten, die ihnen wirklich am Herzen liegen, wie ein ruhiges Büro, Reisen, interessante Projekte oder intensive Weiterbildung.
2013
Dr. Otto Buchegger Tübingen
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