Selbstverständlich ist eine Trennung in einer Partnerschaft nicht unausweichlich. Viele Beziehungen halten auch sehr lange. Aber je länger wir leben, je reicher wir werden, je egoistischer wir werden, je weniger Kinder wir haben, je früher wir heiraten, je liberaler wir werden, um so wahrscheinlicher wird es sein, dass wir eine oder mehrere Scheidungen in unserem Leben haben werden.
Das Geheimnis vieler, langjähriger Ehen ist oft weniger das große, gemeinsame Glück, als dass keiner die Scheidung eingereicht hat!
Noch weniger als unsere Kinder auf die Ehe vorbereitet werden, werden sie auf die Scheidung vorbereitet. Sie leiden nur so sehr unter dem Mangel an Wissen ihrer Eltern, dass viele von ihnen einen lebenslangen Horror vor der Ehe haben. So will ich auch hier versuchen, wenigstens einige grundsätzliche Aspekte weiterzugeben.
Scheidungen scheinen oft aus heiterem Himmel zu kommen und sind dann für eine Hälfte der Partnerschaft völlig überraschend. Aber fast immer geht der offiziellen Scheidung die inoffizielle Kündigung des emotionalen Vertrages voran. Wie bei den 'inneren Kündigungen' in Firmen sagt sich jemand: Bei der nächsten, passenden Gelegenheit bin ich weg. Auch hier gibt es - neben permanentem Streit - noch andere, relativ zuverlässige Frühindikatoren, z.B. wenn Paare keinen gemeinsamen Urlaub mehr planen.
Viele entscheiden sich heute für: Besser gut geschieden als schlecht verheiratet. Wer feststellt, dass die bestehende Partnerschaft nicht mehr gut für ihn ist, wird heute leichter die Trennung vollziehen. Vor allem, wenn er oder sie es sich auch leisten kann.
Kluge Menschen trennen sich, bevor sie eine neue Partnerschaft eingehen. Ich sehe dies als die wichtigste Verhaltensregel in einer Trennungsphase an. So fallen bei allem Selbstzweifel wenigstens die Vergleiche mit dem neuen Partner weg. Leider wird diese Regel auch am wenigsten beachtet, weil oft erst eine neue beginnende Partnerschaft die Brüchigkeit der bestehenden klar macht. Aber wer es schafft: Zuerst Scheidung, dann erst neuer Partner!
Ebenfalls wichtig ist der Zeitpunkt von Scheidungen. Am besten ist es, wenn es beiden gut geht. So werden Scheidungen einfacher und der gesellschaftliche Druck ist geringer. Andernfalls bleibt immer der Eindruck, dass jemand beachteiligt wurde.
Ehescheidungen verlieren wenigstens einen Teil ihrer finanziellen Schrecken, wenn ein Ehevertrag mit Gütertrennung vorliegt, der auch schon die Scheidungsregelungen vorwegnimmt. Deutschland ist eines der wenigen Länder Europas, in der praktisch die Gütergemeinschaft der Normalfall ist. Sehr zum Nutzen der Juristenlobby, die natürlich nichts daran ändern wird, weil an Eheverträgen in jungen Jahren kaum was zu verdienen ist, wohl aber an einer chaotischen Scheidung. Dies sollte alle meine betroffenen Leser, die auch Wähler sind, nachdenklich stimmen.
Immer häufiger werden Scheidungs- und Trennungsfragen mit Mediation gelöst. Mediation ist ein Weg zur Lösung von schwierigen Konflikten, bei dem die Beteiligten mit Hilfe von neutralen Dritten, die keine Entscheidungsmacht haben, eigenverantwortlich gemeinsame Lösungen für die Zukunft erarbeiten.
Es ist zu hoffen, dass auch in Deutschland bald Ehen dort getrennt werden können, wo sie auch geschlossen wurden, nämlich am Standesamt. Je weniger das Gericht bei der Trennung eine Rolle spielen muß, um so weniger Porzellan wird zerschlagen.
Kinder sind keine Gegenstände. Bei ihrer Zeugung sind die Eltern den Vertrag mit ihnen eingegangen, sie in dieser Welt groß und glücklich werden zu lassen. Auch während oder nach der Scheidung bleiben beide Partner ihre Eltern. Und beide sollten versuchen, sie nicht zu Geiseln in einem unendlichen Krieg werden zu lassen. Scheidungen sind auch für Kinder Chancen, wenn es gelingt, sie die positiven Aspekte der neuen Situation sehen zu lassen.
Scheidungen als gesellschaftliches Ereignis sind nicht akzeptiert. Aber warum sollte man nicht eine gemeinsame Scheidungsankündigung machen, wenn man sich trennt. Es würde helfen, dass man gemeinsame Freunde weiterbehält und diese sich nicht für einen der Partner entscheiden müssen. Und es würde helfen, dass bei allen Problemen man wenigstens die Chance erhält, dass Geschiedene weiterhin Freunde bleiben können, besonders wenn Kinder da sind.
Unmittelbar nach der formalen Scheidung fallen viele in ein tiefes Loch, selbst wenn die Partner schon vorher getrennt gelebt haben und man sich sogar einvernehmlich getrennt hat. Es kommt dann eine große Trauer auf, dass es jetzt doch endgültig vorbei ist. Oder auch das Gefühl, dass man versagt hat. Wie bei jeder Trauer, so hilft auch diese, diese Beziehung zu beenden und wieder Kraft für ein anderes, neues und hoffentlich auch besseres Leben zu finden. Neben all den Schwierigkeiten, die jedes Scheitern bringt, natürlich auch das Scheitern einer Beziehung, will ich doch auch die positiven Aspekte einer Scheidung ansprechen.
Scheidungen erlauben Veränderungen in unserer Gesellschaft, sie lassen Menschen neue Wege gehen, die sie in der alten Partnerschaft nie geschafft hätten. Scheidungen machen den Weg frei für neue Partnerschaften, die vielleicht der Alterssituation oder einem neuen Umfeld besser angepaßt sind.
Scheidungen beenden schreckliche oder unendlich langweilige Ehejahre. Scheidungen machen wieder schlank. Scheidungen lehren unsere Kinder, sich besser auf Partnerschaften vorzubereiten. Sie vergrößern unseren Verwandtenkreis, so haben heute manche Kinder nicht nur zwei, sondern gleich drei oder 4 Großelternpaare.
Zu den häufigen Ritualen in Scheidungssituationen gehören das Renovieren von Wohnungen, das Ausmisten von unheimlich viel angesammelten Zeugs und die Neugestaltung von Bekanntenkreisen. Sie bieten neue Chancen und wirken so befreiend, dass sich viele dann im nachhinein ernsthaft fragen, warum sie dies alles nicht schon viel früher in Angriff genommen haben.
Wenn es uns gelingen würde, Scheidungen als Lernsituationen und Chancen zur Veränderung aufzufassen, wenn wir uns rechtzeitig - d.h. immer vor dem Schließen einer Ehe - auf sie einstellten, dann hätten wir viel in unserem Leben gewonnen.
Weitere Informationen zum Thema Scheidung finden Sie hier
2013
Dr. Otto Buchegger Tübingen
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